Das ist eine Geschichte von Bernd Heinermann aus Hoffnungsthal, einem Ort an der Sülz, wo die Schäden durch die Sommerflut 2021 nicht weniger verheerend waren als in vielen Eifeldörfern. Ich präsentiere sie hier auch, um deutlich zu machen, dass die Eifel-Lesung sich - trotz des eigentlich eindeutigen Namens - nicht nur auf Orte und Menschen aus der Eifel bezieht, sondern auf alle, die durch die Flut zu Schaden kamen.
Eifel-Lesungen können entsprechend überall stattfinden!
Fips hat mich sofort verstanden
Wir haben uns am 16.7. an der Ecke Hauptstraße/zum Sülzufer getroffen.
Die Sonne schien, es war warm. Fips saß ganz oben auf einer Müllhalde. Deshalb habe ich ihn auch nicht gleich gesehen in seiner grünen Hose, über und über mit Schlamm beschmiert.
Ich sah nicht viel besser aus. Wir alle, die nach dem Hochwasser die unbrauchbaren Möbel, das durchweichte Inventar, all die unbrauchbar gewordenen Dinge an die Straße schleppten –es ging das Gerücht, dass alles abgeholt wird- wir alle sahen so aus. Schmutzig, erschöpft, erschüttert. Wir trugen immer mehr wertlos gewordenen und zerstörten Besitz aus unseren Häusern und Garagen und türmten die Abfälle, die zerstörten Geräte immer weiter auf.
„Das sieht aus wie in einem Katastrophengebiet“ sagte einer. „Das ist eins“ sagte ein anderer. „Ich meinte, wie im Fernsehen“ sagte der erste. „Das hier ist echt“ sagte der andere. Dann schwiegen beide. Ich verschnaufte kurz, sah mir diese Gebirge aus nassen, tropfenden, miefenden Besitztümern an, roch den Gestank aus Heizöl und anderen Chemikalien.
Und da habe ich ihn gesehen. Ganz oben auf einem der Berge saß er, in seiner grünen Hose. Schmutzig. Wie schon gesagt.
Der Müllberg war sehr hoch. Ich musste zu Fips auf sehen. Damals wusste ich seinen Namen noch nicht, den sollte ich erst später herausbekommen.
Ganz ruhig saß er da.
Und da war ich auf einmal auch ruhig und sehr traurig. Und konnte ein wenig weinen.
Fips saß nur da und sah mich an.
Ich habe ihn von seinem Müllberg herunter geholt und mit zu uns nach Hause genommen.
Nachdem er gewaschen war, zeigte sich, dass er ein bewegtes Leben hinter sich gehabt haben musste: Hose, Kragen und Schleife waren jetzt so sauber wir er selbst, waren aber abgetragen. Und sein Fell war ein bisschen abgewetzt.
Ich hielt Fips für ein Schaf, meine Frau für ein Kaninchen oder Hasen; tatsächlich ist er ein Hund! Die Recherche im Internet ergab eindeutig (Markennamen helfen!): er ist ein Hund und heißt eben Fips.
Offensichtlich hat Fips mit vielen Kindern gekuschelt, sie getröstet und überall hin begleitet. Jetzt ist er ein älterer Herr (wenn man Hundejahre in Menschenjahre umrechnet etwa so alt wie ich oder älter, schätze ich) und hat den Ruhestand verdient.
Er wohnt jetzt dauerhaft bei uns, sitzt mir am Schreibtisch gegenüber in einer Kiste mit allerlei Kabeln und hat keinen Dienst mehr, aber wir sind immer mal wieder im Gespräch.
Über Anteilnahme und Hilfe zum Beispiel.
Fips hat eine feine Witterung und bekommt viel mit. Zum Beispiel, dass es uns ärgert, dass wir hier in Hoffnungsthal in den Nachrichten nicht vorkommen. Immer nur Ahr und Erft und dass es auch anderswo Schäden gab, aaaaber nirgends so schlimm wie an Ahr und Erft und…… . Und wir?
„Was willst Du?“ fragte er. Nachdenken meinerseits (er sitzt immer nur da und sieht mich an). Ich will, dass die Welt da draußen weiß und zur Kenntnis nimmt, dass es hier in Hoffnungsthal auch schlimm war und nicht nur in der Eifel, an Ahr und Erft!!! Und nicht immer hören (und immer mal wieder selbst sagen), dass es andere vieeeel schlimmer getroffen hat. Stimmt ja auch, aber davon wird mein Leid nicht weniger. Das tut mir nicht gut.
„Was tut Dir denn gut?“
Gute Frage! Mir tut gut, dass Fips mir zuhört und ich mir selber zuhöre. Endlich. Mir tut jede Hilfe gut. Jedenfalls dann, wenn Freunde ohne großes Nachfragen - eben einfach helfen. Die Frage: „was kann ich denn tun?“ wiederum macht mich völlig hilflos: egal, wieviel zu tun ist. Mir fällt nichts ein, ich fühle mich beinahe belästigt, so als müsste ich mich jetzt auch noch um potentielle Helfer kümmern.
Fips scheint zu grinsen. „Ich kenne das, Berufskrankheit bei mir. Bevor ich auf dem Müll gelandet bin, war ich immer nur für andere da; sich helfen lassen muss man lernen. Entweder von klein an oder später.“
Aha, denke ich. Muss ich mal drüber nachdenken.
„Seit Du mich vom Müll geholt hast, hat für mich eine neue Lebensphase angefangen, die bei unsereins im Leben eigentlich nicht vorkommt: einfach nur da sein, meist für mich, hin und wieder Deinen Gedanken zuhören und manchmal zurückdenken.“
Ist das für Dich in Ordnung? Denke ich. Und: können wir ab und zu ein bisschen zusammen denken?
„Passt schon!“
Sitzt Du auch bequem?
Fips grinst.
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